Themenschwerpunkt 2022: Künstliche Intelligenz und Nachhaltigkeit© Graf Vishenka/stock.adobe.com & KI.NRW
KI und Nachhaltigkeit zusammendenken
Der Klimawandel zählt zu den größten Herausforderungen weltweit. Der letzte Sommer hat gezeigt, dass Extremwetterereignisse auch bei uns vor Ort in Nordrhein-Westfalen großen Schaden anrichten können. Ohne entschiedenen Klimaschutz und verstärkte Bestrebungen zu mehr Nachhaltigkeit in nahezu allen Lebensbereichen werden solche Ereignisse perspektivisch immer wahrscheinlicher. Als Kompetenzplattform für Künstliche Intelligenz haben wir uns daher gefragt: Welchen Beitrag kann KI leisten, um zu einer nachhaltigeren Entwicklung und damit zu mehr Klimaschutz beizutragen? Im Jahr 2022 werden wir uns das genauer anschauen.
Wir stecken in einer Klimakrise nie dagewesenen Ausmaßes. Sie zu managen ist die Hauptaufgabe dieses Jahrhunderts und diese Legislaturperiode ist entscheidend, um die richtigen Weichen zu stellen. Während Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie internationale Institutionen schon seit 1972 (Club of Rome) und zunehmend dringlich warnen, war es vor allem Greta Thunberg, die mit ihrem Schulstreik eine internationale Jugendbewegung »Fridays for Future« (FFF) in Gang gebracht hat, die Politik und Wirtschaft endlich handeln lässt. Inzwischen ist daraus ein Megatrend geworden. Auch als »Neoökologie« bezeichnet, steht er für den großen gesellschaftlichen Veränderungsprozess hin zu einem ressourceneffizienten, nachhaltigen Wirtschaften. »Künstliche Intelligenz« (KI, Englisch: Artificial Intelligence, AI) kann in vielen Bereichen helfen, den Klimawandel besser zu verstehen, Entscheidungsfindungsprozesse zu verbessern und Produkte nachhaltiger zu machen. Sowohl KI als auch die Frage nach der Nachhaltigkeit müssen dabei als Querschnittsthemen verstanden werden, die fast alle Wirtschaftssektoren, die Gesellschaft sowie die Wissenschaft betreffen. Wir werden im Jahr 2022 besprechen, wie wir KI und Nachhaltigkeit zusammendenken können.
Nachhaltige Entwicklung als Ziel
Die Ausgangslage: Im Rahmen des Pariser Abkommens aus dem Jahr 2015 hat sich Deutschland verpflichtet, das 1,5°C-Ziel einzuhalten, um dazu beizutragen, den globalen Temperaturanstieg zu begrenzen. Das ist nur mit einer nachhaltigen Entwicklung möglich. (1) Nachwachsende Ressourcen müssen sich ausreichend regenerieren können und nicht-nachwachsende müssen möglichst geschont werden. (2) Es gilt, die Lebensräume zu erhalten, die Artenvielfalt zu schützen und dafür zu sorgen, dass Böden, Luft, Süß- und Meerwasser nicht weiter verunreinigt werden. (3) Und ganz zentral: die Treibhausgase müssen reduziert werden. Weniger Treibhausgase bedeuten eine geringere Erwärmung der Erde und der damit verbundenen Folgen wie Anstieg der Meeresspiegel, Versauerung der Ozeane und Wetterextreme. Aber wie kann KI hier zum Einsatz kommen?
Künstliche Intelligenz – ein paar Grundlagen
Künstliche Intelligenz ist ein Teilbereich der Informatik, der sich damit beschäftigt, menschliche Intelligenz auf dem Computer abzubilden (siehe hierzu das Video »Künstliche Intelligenz, Maschinelles Lernen – Entstehung, Forschungsstand & Ausblick« mit Prof. Dr. Stefan Wrobel, Institutsleiter am Fraunhofer IAIS). Dabei geht es häufig darum, unstrukturierte Informationen in nützliches Wissen zu überführen. In der Praxis konzentriert sich KI auf bestimmte Aufgaben und sucht pragmatisch nach Methoden, die mehr oder weniger von unserem Wissen über natürliche Intelligenz inspiriert sind. Dabei spielt die Aneignung von Wissen, also das maschinelle Lernen eine wichtige Rolle.
Der Durchbruch, der KI zum Megatrend machte, kam vor etwa zehn Jahren, als man für das maschinelle Lernen sogenannte tiefe künstliche neuronale Netze verwendete. Künstliche neuronale Netze sind von den Nervenzellen im Gehirn inspirierte Datenstrukturen. Sie haben Parameter, die den Stärken der Synapsen im Gehirn entsprechen und die beim Training optimiert werden. Sehr große Netze bestehen aus vielen Schichten von künstlichen Neuronen und können mehrere Milliarden Parameter haben. Darum spricht man auch von tiefem Lernen (»Deep Learning«). Wegen der vielen Parameter braucht man zum Training sehr große Datenmengen (»Big Data«) die vor zehn Jahren vor allem über das Internet und das Web 2.0 entstanden. Das Trainieren tiefer Netze benötigt viel Rechenleistung, also Energie. Dagegen ist die Anwendung trainierter Netze relativ kostengünstig, besonders bei Optimierungsaufgaben als Alternative zu mehreren Simulationsläufen, in denen jeweils Systeme von nichtlinearen Gleichungssystemen berechnet werden müssen.
Deep Learning kann gut mit unstrukturierten Daten umgehen, also Bildern, Video, Audio, Musik, Text, Sprache. Trainierte Netze, die man in der KI-Forschung auch Modelle nennt, sind nicht nur in der Lage, Muster zu erkennen und Prognosen anzustellen, sie können auch unstrukturierte Daten generieren, wie Bilder in einem bestimmten Kunststil, Musik, realistische Fotos, Geschichten, und sie können Fragen beantworten und Dialoge führen.
Diese Kernkompetenzen des maschinellen Lernens kann man in Software-Werkzeugen, Geschäfts- und Produktionsprozessen, in Geräten und Maschinen nutzen, indem man geeignete Modelle an passenden Stellen in die Software einbaut. Dadurch werden die Software-Werkzeuge, Prozesse oder Geräte intelligenter. Sie unterstützen ihre Benutzerinnen und Benutzer oder steuern sich (teil)autonom. Am deutlichsten zeigt sich das in beweglichen Geräten, also Robotern, Drohnen und Fahrzeugen allgemein.
KI im Einsatz für mehr Nachhaltigkeit
Einsatzbereiche von KI für Mustererkennung und Prognose findet man im Kontext von Klima- und Umweltschutz in allen Phasen des Wertschöpfungskreislaufs und fast überall kann KI dabei helfen, direkt oder indirekt Ressourcen zu sparen. Sprachtechnologien und generative KI hingegen trifft man beim Thema Klima- und Umweltschutz eher selten an. In der folgenden Aufstellung zeigen wir beispielhaft auf, wie KI in den einzelnen Phasen des Wertschöpfungskreislaufs genutzt wird.
Forschung und Design für mehr Nachhaltigkeit bedeutet oft Werkstoffforschung. KI kann die Eigenschaften neuer Materialien vorhersagen, sei es für die Energiespeicherung, für Baustoffe oder industrielle Werkstoffe. In der Landwirtschaft kann KI die Eigenschaften von verändertem Saatgut prognostizieren. In der Klimaforschung automatisiert KI die Auswertung und Interpretation von Bildern und anderen Daten und vereinfacht die Simulation von Klimaszenarien durch Schätzung von Parametern.
In der Planungsphase dient KI der Prognose von Standorten, zum Beispiel, wo Windräder besonders viel Energie produzieren könnten oder wo Mobilitätsanalysen einen hohen Bedarf für Ladesäulen nahelegen. Bei der Planung eines Gebäudes kann der Energiebedarf prognostiziert werden. In der Landwirtschaft kann KI für jedes Feld den Ertrag bestimmter Pflanzfolgen vorhersagen, als Empfehlung für den Landwirt oder als Grundlage für Ernteausfallsversicherungen. Beim Umweltschutz kann KI helfen, Schutzzonen zu identifizieren und auszuwählen. Für eine proaktive Stadtentwicklung kann KI lokale Extremhochwasser- und Sturzflutprognosen verbessern.
In der Betriebsphase kann die Steuerung und Bewirtschaftung optimiert werden, durch Lastmanagement im Energiesektor, durch vorausschauende Steuerung von Industrieanlagen, sowie durch Wetterprognosen und intelligente Landmaschinen, mit denen die Felder punktgenau gewässert, gedüngt und behandelt werden können. Ebenfalls in die Betriebsphase fällt die proaktive Wartung, durch die Schäden an Geräten und Bauwerken vermieden und so ihre Lebensdauer verlängert werden kann: das betrifft Anlagen der Energieproduktion und Maschinen in Industrie und Landwirtschaft.
In der Vertriebsphase kann KI Angebot und Nachfrage detailliert vorhersagen, um Über- und Unterversorgung zu vermeiden. Beispiele sind der Energiehandel oder die Absatz- und Einkaufsplanung im Handel. Kantinen und Bäckereien können dadurch das Wegwerfen von Lebensmitteln vermeiden.
Für die Nutzungsphase von Produkten gilt ähnliches wie für die Betriebsphase von Produktionsmaschinen: Mit KI können elektrische Geräte energieeffizienter eingesetzt, Gebäude energieeffizienter gesteuert, Autos energieeffizienter gefahren, die Wasserversorgung kann vorausschauend gesteuert und der Verkehr könnte minütlich besser geleitet werden.
In der Entsorgungsphase ist ein wichtiger Schritt zur Trennung und Wiederverwendung von Stoffen und Komponenten ihre automatische Erkennung. Mittels Computer Vision können wiederverwertbare Teile identifiziert und von einem Roboter aussortiert werden. Diese Verfahren können auch bei der Mülltrennung oder bei der Entfernung von Plastikmüll aus den Meeren zum Einsatz kommen.
Im Fokus 2022: KI als Game Changer für wichtige Schlüsselsektoren in NRW
Wie diese Ausführung zeigt, bietet KI eine ganze Reihe an Möglichkeiten, um für mehr Nachhaltigkeit zu sorgen. Was hier überblicksartig und ohne Anspruch auf Vollständigkeit aus der Perspektive des Wertschöpfungskreislaufes dargestellt ist, wollen wir in diesem Jahr mit Blick in die vom Umweltbundesamt angeführten Schlüsselsektoren Energie-, Agrar-, bzw. Mobilitätswirtschaft sowie die sektorübergreifenden Themengebiete Rohstoff- und Materialeffizienz, Energieeffizienz bzw. Abfallwirtschaft vertiefen. Im Fokus werden dabei sogenannte Impulspapiere stehen, in denen wir unter Hinzuziehung von Fachleuten aus NRW die Möglichkeiten von KI im Kontext der Nachhaltigkeit genauer unter die Lupe nehmen. Ziel ist es, dafür zu sensibilisieren, dass KI auch in Sachen Klimaschutz ein echter Game Changer sein kann. Wir werden aber auch darüber sprechen, dass KI-Systeme selbst viel Energie verbrauchen können. Es wird ein spannendes Jahr – wir freuen uns, wenn Sie uns auf dieser Reise begleiten.
Weitere Informationen
Im Jahr 2015 hat die UN in der Agenda 2030 17 Ziele für eine sozial, wirtschaftlich und ökologisch nachhaltige Entwicklung verabschiedet. Die Ziele können Sie hier nachlesen: Website BMZ
Bei KI.NRW haben wir bereits erste Veranstaltungen zum Thema KI und Nachhaltigkeit durchgeführt. So zum Beispiel in Zusammenarbeit mit der NRW.BANK, 33A oder auch bei unserem letzten AIMonday – Chapter NRW. Einige Vorträge haben wir aufgezeichnet.
Watch now (EN):
Peter Dueben: AI and machine learning in weather and climate modelling
Johannes Fütterer: Applied AI for climate change action in the real estate sector
David Scherf: Using earth observation & AI to identify organic cotton fields
Charlotte Bander: The Bonn Sustainable AI Lab
Lucas Holtz: AI and Energy Storage – Making Batteries Predictable
Tipp: Allgemeine KI-Anwendungsfälle können Sie auch in unseren neuen KI.Welten entdecken!