Dr.-Ing. Dennis Michaelis
CEO & Mitgründer des KI-Hardware Start-ups GEMESYS
»Unser Ziel ist es, ein Chip-Design zu entwickeln, das es in der Form heute noch nicht gibt und das einen signifikanten Mehrwert für die KI-optimierte Hardware-Branche bietet«
Das Bochumer Start-up GEMESYS Technologies ging 2022 als Sieger aus dem KUER.NRW Businessplan Wettbewerb hervor und setzte sich so gegen mehr als 30 Start-up-Teams aus den Zukunftsbranchen Klima, Umwelt, Energieeffizienz und Ressourcenschonung (KUER) durch. Der Wettbewerb wird durchgeführt im Rahmen von KUER.NRW im Auftrag des Ministeriums für Umwelt, Naturschutz und Verkehr des Landes Nordrhein-Westfalen. Das GEMESYS-Team arbeitet daran, die Informationsverarbeitung des menschlichen Gehirns in elektrischen Schaltungen nachzubilden. Im Gehirn gibt es keine Trennung zwischen der informationsverarbeitenden und -speichernden Einheit – anders bei konventioneller Computerarchitektur, wo kontinuierlich Daten zwischen Prozessor (CPU) und Speicher (RAM) ausgetauscht werden. Ein Prozess, der energieintensiv und vergleichsweise langsam ist. Genau hier setzt das Team von GEMESYS an. Im Gespräch mit KI.NRW hat GEMESYS-Geschäftsführer Dr.-Ing. Dennis Michaelis den Paradigmenwechsel skizziert, um den es bei der Entwicklung von Memristoren geht.
Sie sind angetreten, um die Basis für ein Chip-Design »made in NRW« zu legen – und zwar von Computerchips, die es in der Form heute noch gar nicht gibt. Wie kam es dazu?
Die Idee, ein Chip-Design »made in NRW« zu entwickeln, entstand aus den Dissertationsschriften meines Mitgründers Dr.-Ing. Enver Solan und meiner. Während unserer Zeit als Doktoranden haben wir uns ein Büro geteilt und konnten in zahlreichen unserer Diskussionen feststellen, dass es in der KI-optimierten Hardware-Branche einen Bedarf an innovativen und leistungsstarken Konzepten gibt, die den aktuellen Anforderungen und Herausforderungen gerecht werden. Gemeinsam mit meinem zweiten Mitgründer Moritz Schmidt haben wir GEMESYS erschaffen, um diese Marktlücke zu schließen und ein neues Chip-Design zu entwickeln, das den Anforderungen der Zukunft entspricht.
Dabei setzen wir auf eine interdisziplinäre Herangehensweise, indem wir Fachwissen aus verschiedenen Bereichen wie Elektrotechnik, Materialwissenschaften und Informatik kombinieren, zukünftig auch Bereiche wie Neurowissenschaften, Psychologie und Ethik. Wir arbeiten eng mit Partnern aus Forschung und Industrie zusammen, um den Entwicklungsprozess voranzutreiben und sicherzustellen, dass unsere Chip-Designs auch praktisch umsetzbar und wirtschaftlich sinnvoll sind.
Unser Ziel ist es, ein Chip-Design zu entwickeln, das es in der Form heute noch nicht gibt und das einen signifikanten Mehrwert für die KI-optimierte Hardware-Branche bietet. Wir glauben, dass unsere Arbeit dazu beitragen wird, NRW als führenden Standort für die Entwicklung von KI-optimierten Hardwarelösungen zu etablieren und dabei auch globale Märkte zu erschließen.
Bei Ihrer Technologie spielen sogenannte Memristoren eine Rolle: Was ist das Neuartige an einem Memristor und wo liegen die Vorteile insbesondere im Hinblick auf Künstliche Intelligenz?
Ein Memristor ist ein elektronisches Bauteil, das in der Lage ist, elektrischen Widerstand zu verändern und somit den Stromfluss zu regulieren. Das Besondere an einem Memristor im Vergleich zu herkömmlichen elektronischen Bauteilen wie etwa Transistoren ist, dass er nicht nur den Widerstandswert speichern kann, sondern auch den Zustand, in dem er sich zuletzt befunden hat. Dies ermöglicht das Verarbeiten und Speichern von Informationen an demselben physikalischen Ort – das sogenannte In-Memory Computing entsteht.
Im Hinblick auf Künstliche Intelligenz bieten Memristoren eine Reihe von Vorteilen. Sie sind in der Lage, große Datenmengen schnell und effizient zu verarbeiten, was besonders bei komplexen Machine-Learning-Anwendungen von Bedeutung ist. Zudem ermöglichen sie es, neuronale Netze direkt auf der Hardware-Ebene zu implementieren, was zu einer deutlichen Reduktion des Energieverbrauchs führt. Memristoren besitzen das Potenzial neuronale Netze mit Milliarden von Parametern auf der Fläche eines Fingernagels zu realisieren.
Die technische Machbarkeit Ihres Chip-Designs konnten Sie in Software-Emulationen unter Beweis stellen. Wie muss man sich so eine Emulation vorstellen?
Eine Software-Emulation ist ein Verfahren, bei dem die Funktionen und Eigenschaften eines Computerchips in einer virtuellen Umgebung nachgebildet werden. Dabei werden die elektrischen Signale, die der Chip normalerweise verarbeiten würde, durch Software emuliert. Das bedeutet, dass der Chip nicht physisch vorhanden sein muss, um seine Funktionalität zu testen oder zu optimieren.
Hierfür haben wir unsere eigene Emulationsumgebung geschrieben, welche speziell auf unsere Anforderungen und Bedürfnisse abgestimmt ist und die es uns ermöglicht, das Verhalten unseres Chips in verschiedenen Szenarien zu testen und zu optimieren.
Nachdem wir die konzeptionelle Funktionsweise sichergestellt haben, geht es nun in hardwarenahe Untersuchungen, wo wir beispielsweise den exakten Stromverbrauch oder die Temperaturverteilung beurteilen können. Auch können verschiedene Fehlerquellen und Ausfallursachen untersucht werden, um die Robustheit des Designs zu verbessern.
Die Ergebnisse der Software-Emulation werden genutzt, um das Chip-Design weiter zu optimieren und zu verfeinern. Erst wenn das Design in der Emulation vollständig getestet und validiert wurde, geht es in die Produktion, um einen physischen Chip herzustellen. Insgesamt bietet die Software-Emulation eine effiziente und kostengünstige Möglichkeit, ein Chip-Design zu entwickeln und zu testen, bevor es physisch hergestellt wird.
Jetzt könnten somit mit innovativen Industriepartnern konkrete Anwendungsfälle verprobt werden. Hier kommt ebenfalls Künstliche Intelligenz ins Spiel. An welche Kooperationen und Einsatzgebiete denken Sie konkret?
Wir gehen davon aus, Verarbeitungen mit KI durchzuführen, um große Zusammenhänge schneller und energieeffizienter berechnen zu lassen. Das ist auch bitter nötig, denn das Training von DeepMinds Alpha Go hat ca. $35 Millionen gekostet, das Training von Teslas Full Self-Driving KI auf dem eigens entwickelten Dojo Chip dauert über einen Monat und der Betrieb von OpenAIs ChatGPT-3 verschlingt Millionen von Euro jede Woche. Leistungsstarke KI kommt darüber hinaus auch in weiteren Feldern zum Einsatz wie der Medikamentenentwicklung oder Kernfusion, zwei sehr spannende Felder.
Unsere Technologie erlaubt darüber hinaus das Verlagern von KI aus der Cloud direkt an die Stellen, wo die Daten generiert werden, den sogenannten Rand des Netzwerks. Deswegen bezeichnet man dieses Feld auch als Edge KI. Das Trainieren und Anwenden von KI direkt vor Ort kommt mit einigen signifikanten Vorteilen daher: erhöhter Datenschutz, geringere Latenz, geringerer Energieverbrauch sowie ein möglicher Offline-Betrieb. Interessante Anwendungsgebiete ergeben sich dort, wo eine oder mehrere dieser Eigenschaften noch verhindern, dass KI mit dem heutigen Stand der Technik implementiert werden kann. Denn hier kann GEMESYS nicht nur etwas Bestehendes verbessern, sondern etwas fundamental Neues erschaffen.
In der Hardwareforschung ist ja viel Bewegung drin – auch international. Ist es möglich, als Start-up und aus NRW heraus globale Märkte aufzurollen?
Ja, es ist durchaus möglich, als Start-up aus NRW heraus globale Märkte im Forschungsfeld KI-optimierte Hardware zu erschließen. Es gibt viele erfolgreiche Beispiele von Start-ups, die aus der Region heraus gestartet sind und inzwischen weltweit agieren: Lidrotec schneidet in Bochum mithilfe von Lasern Mikrochips und agiert verstärkt im nordamerikanischen Raum, eleQtron konkurriert im Bereich Quantencomputern aus Siegen heraus mit Firmen wie Google. Einige der Faktoren, die dabei eine Rolle spielen, sind zum Beispiel eine global konkurrenzfähige Geschäftsstrategie, ein innovatives Produkt, ein erfahrenes Team und eine starke Finanzierungsbasis.
In NRW gibt es eine Vielzahl von Institutionen, die Start-ups unterstützen, darunter auch im Bereich der KI-optimierten Hardware. Es gibt Förderprogramme, Beratungsangebote und Netzwerke, die Start-ups bei der Entwicklung und Vermarktung ihrer Produkte unterstützen. Deswegen ist die Arbeit von KI.NRW auch so wichtig. Abgesehen von der hervorragenden Arbeit der Gründungseinrichtung an der Ruhr-Universität Bochum, der WorldFactory, hat uns beispielsweise das Accelerator-Programm von High-Tech.NRW sehr geholfen.
Dr.-Ing. Dennis Michaelis ist CEO & Mitgründer des KI-Hardware Start-ups GEMESYS. Nach seinem Studium der Elektro- und Informationstechnik an der Ruhr-Universität Bochum promovierte er 2021 zum Thema »Biologieinspiriertes Rechnen«. 2012 und 2013 verbrachte er zwei Semester an der renommierten Purdue University in Indiana, USA. 2014 konnte er den VDE-Preis für herausragende Abschlussarbeiten erlangen. Dr.-Ing. Michaelis gilt als Experte für selbstorganisierende elektronische Schaltungen auf der Basis von Memristoren, wodurch er sich gemeinsam mit Dr.-Ing. Enver Solan und Moritz Schmidt Ende 2021 den begehrten EXIST-Forschungstransfer vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) sichern konnte. Anfang 2023 gründete er gemeinsam mit Dr.-Ing. Solan und Herrn Schmidt das Start-up GEMESYS, welches an einem Paradigmenwechsel Im Bereich KI-Hardware arbeitet, um Durchbrüche bei Energieverbrauch, Leistungsstärke und Platzeffizienz zu erreichen.