Prof. Dr. Aimee van Wynsberghe
Alexander von Humboldt-Professorin für Angewandte Ethik der Künstlichen Intelligenz und Direktorin des Instituts für Wissenschaft und Ethik an der Universität Bonn
»Es gibt viele Forscher*innen, zivilgesellschaftliche Organisationen und führende Vertreter *innen der Industrie, die sich mit der Frage beschäftigen, wie wir KI nutzen können, um die Nachhaltigkeitsziele zu erreichen, und ich denke, das ist eine großartige Initiative, aber wir haben vergessen, uns mit der Nachhaltigkeit der KI selbst zu beschäftigen.«
Prof. Dr. Aimee van Wynsberghe ist Alexander von Humboldt-Professorin für Angewandte Ethik der Künstlichen Intelligenz und Direktorin des Instituts für Wissenschaft und Ethik an der Universität Bonn. Als Mitglied der High Level Expert Group on AI der Europäischen Kommission ist sie eine der prominentesten KI- und Roboter-Ethikerinnen. Im Jahr 2021 rief Prof. van Wynsberghe das Bonn Sustainable AI Lab ins Leben, um interdisziplinäre Forschung zu Fragen der Umweltgerechtigkeit und KI zu fördern. Wir fragten sie nach den Möglichkeiten, KI zum Wohle der Menschheit einzusetzen.
2021 haben Sie das Bonn Sustainable AI Lab eröffnet. Welche Ziele verfolgen Sie mit Ihrem Lab?
Es gibt viele Forscher*innen, zivilgesellschaftliche Organisationen und führende Vertreter *innen der Industrie, die sich mit der Frage beschäftigen, wie wir KI nutzen können, um die Nachhaltigkeitsziele zu erreichen, und ich denke, das ist eine großartige Initiative, aber wir haben vergessen, uns mit der Nachhaltigkeit der KI selbst zu beschäftigen. Die Entwicklung von KI hat große Auswirkungen auf die Umwelt durch Kohlenstoffemissionen, den Abbau wertvoller Mineralien, den Wasserverbrauch zur Kühlung von Servern, den Stromverbrauch und die Landnutzung. Mit anderen Worten: Für die Entwicklung von KI ist eine umfangreiche physische Infrastruktur erforderlich, und innerhalb dieser Infrastruktur werden Menschen und der Planet ausgebeutet. Ich möchte, dass mein Labor in diesem Bereich forscht, das Bewusstsein schärft und die Menschen dazu ermutigt, innezuhalten und nachzudenken, bevor sie sich mit KI überstürzen.
Ihr Team ist sehr interdisziplinär aufgestellt. Warum sind verschiedene Perspektiven beim Thema Sustainable AI so wichtig?
Die Nachhaltigkeit der KI erfordert einen tieferen Blick in die technischen Details der Technologie, welche Art von Servern verwendet wird, wie lange die Algorithmen trainiert werden. Aber da die Umweltkosten oft eine Belastung für die schwächsten und marginalisiertesten Bevölkerungsgruppen der Welt sind (z. B. diejenigen, die in den Minen arbeiten, um Mineralien zu gewinnen), ist es mehr als eine technische Frage, es ist eine moralische Frage. Ich bringe Umweltethiker*innen mit Politikwissenschaftler*innen und Landwirt*innen zusammen, um die vielen komplexen Fragen zu erörtern, die sich beim Auseinandersetzen mit dem Thema der nachhaltigen KI stellen.
Was bedeutet Nachhaltigkeit eigentlich im Kontext KI genau bzw. wann ist ein KI-System »nachhaltig«?
Ich bezeichne nachhaltige KI als eine Art Oberbegriff mit zwei Zweigen. Unter diesem Dach gibt es zwei divergierende Fragen oder Forschungsbereiche: 1. wie KI eingesetzt werden kann, um in irgendeiner Weise Nachhaltigkeit zu erreichen, zum Beispiel um die Nachhaltigkeitsziele zu erreichen, und 2. die Nachhaltigkeit von KI. Um die Frage zu beantworten, wann ein KI-System nachhaltig ist, müssen wir noch viel mehr Forschung betreiben, um das Ausmaß der ökologischen Folgen, die sich aus der Entwicklung und dem Einsatz von KI ergeben, vollständig zu verstehen. Dies ist eines der Ziele des Labors, eine Antwort auf diese Frage zu finden.
Sie forschen außerdem im Bereich der Roboterethik. Wie können Roboter die Gesellschaft bereichern?
Roboter unterscheiden sich von künstlicher Intelligenz. Roboter sind verkörperte Technologien, mit denen wir auf eine andere Art und Weise interagieren, während künstliche Intelligenz eher als Software verstanden werden sollte. Da Roboter diesen verkörperten Aspekt haben und so gestaltet werden können, dass sie ›niedlich‹ erscheinen, gibt es einige Forscher*innen, die Roboter auf eine soziale Art und Weise gestalten wollen, so dass wir glauben, ein Roboter sei unser Freund. Ich halte das für gefährlich. Ich denke, wir sollten uns stattdessen darauf konzentrieren, wie Roboter zur globalen Gemeinschaft beitragen können und wie sie wiederum bei Umweltproblemen helfen können. Es gibt zum Beispiel viele Menschen, die giftigen Chemikalien ausgesetzt sind, wenn sie Elektronikschrott zerlegen, und diese Menschen leben oft in ärmeren Ländern. Wenn wir Roboter hätten, die diese Art von Arbeit erledigen, wäre das meiner Meinung nach eine enorme Hilfe. Aber wir dürfen nicht vergessen, dass wir für jeden Roboter, den wir herstellen und/oder einsetzen, einen Plan für das Recycling haben müssen. Dies ist ein weiteres Thema, das noch nicht ausreichend untersucht wurde und viel mehr Aufmerksamkeit erfordert.
Angenommen wir könnten zur Eindämmung der Pflegekrise schon morgen Roboter einsetzen, die Patientinnen und Patienten (mit)betreuen: Wie müssten diese programmiert sein, um dem Menschen nicht zu schaden?
Zunächst halte ich es für wichtig zu hinterfragen, ob Roboter wirklich die beste Lösung für den Pflegenotstand sind. Ich würde denken, dass eine respektvollere Behandlung der Pflegekräfte und eine angemessene Bezahlung und Unterstützung eine bessere Lösung für das Problem wären. Aber wenn wir Roboter einsetzen wollen, müssen wir auch untersuchen, was uns dazu bringt, zu sagen, dass wir »gute Pflege« erhalten haben, damit wir verstehen können, wie der Roboter gebaut werden sollte. Zu diesem Zweck müssen wir Krankenschwestern und andere medizinische Fachkräfte in den Designprozess einbeziehen. Sie sind diejenigen, die uns wirklich sagen können, was getan werden muss, damit ein Roboter einem Menschen nicht schadet, weil sie wirklich wissen, wie Pflege in der Praxis aussieht.
Sie sind zudem Mitglied der High-level expert group on artificial intelligence der EU-Kommission. Wie sieht Ihre Arbeit dort aus und können Sie die Erkenntnisse aus Ihrer Forschung dort gut unterbringen?
Die Mitgliedschaft in der EU-HLEG für KI war eine unglaubliche Chance. Es handelte sich um ein multidisziplinäres Team mit dem Ziel, den Prozess der Regulierung von KI in einem europäischen Kontext zu beginnen, in dem Menschenrechte und europäische Werte im Mittelpunkt stehen. Eine der Lektionen, an die ich hier erinnert wurde, war, dass Ethik als Prozess dynamisch ist, was bedeutet, dass es nicht möglich ist, im Jahr 2018 eine Checkliste zu erstellen, die im Jahr 2022 noch genauso relevant ist. Ich sage das, weil im Jahr 2018 niemand über die ökologischen Folgen der KI gesprochen hat, aber jetzt, da wir mehr über die Technologie wissen, sehen wir, wie wichtig es ist, dies als ethisches Anliegen zu priorisieren.
Was gefällt Ihnen am Forschungsstandort NRW besonders gut und wo kann NRW von anderen Standorten lernen?
Es ist eine große Ehre für mich, an die Universität Bonn zu kommen. Es gibt ein lebendiges Forschungsumfeld mit vielen engagierten Akademiker*innen, die nicht nur qualitativ hochwertige Forschung betreiben, sondern auch einen Einfluss auf die realen Probleme der Welt haben. Es gibt ein unglaubliches Netzwerk von Organisationen in der Region, die sich mit Fragen der Nachhaltigkeit befassen, was diesen Ort so aufregend macht. Jeden Tag erfahre ich von einem anderen Forscher oder einer anderen Forscherin, mit dem ich Kontakt aufnehmen muss! Da ich aus den Niederlanden komme und dort an technischen Universitäten gearbeitet habe, wo Natur- und Geisteswissenschaften oft zusammenarbeiten, denke ich, dass dies ein wichtiger Teil des Lernens ist, sowohl auf der Bachelor-/Master-Ebene als auch als etablierte Forscherin. Es freut mich zu sehen, dass viele Akademiker*innen an der Uni Bonn ebenfalls an dieser Art der Zusammenarbeit interessiert sind, so dass es jetzt nur noch darum geht, sie in die Tat umzusetzen!
Die Kanadierin Prof. Dr. Aimee van Wynsberghe studierte in Kanada und den Niederlanden und ist KI- und Roboterethikerin. Sie ist Mitbegründerin und Co-Direktorin der Foundation for Responsible Robotics und Beraterin der Europäischen Kommission in KI-Fragen. 2021 wurde sie mit der Alexander von Humboldt-Professur ausgezeichnet. Seit Februar 2021 arbeitet sie an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität in Bonn. Für sie wurde eine neue Professur im Bereich Applied Ethics of Artificial Intelligence konzipiert. Sie ist Direktorin des Instituts für Wissenschaft und Ethik (IWE) und Direktorin des Bonn Sustainable AI Lab an der Universität Bonn. Sie ist Autorin des Buches „Healthcare Robots: Ethics, Design, and Implementation“. Im Jahr 2018 erhielt sie den L’Oréal UNESCO For Women In Science Award für ihren Beitrag zum wissenschaftlichen Dialog und zur Forschung.