Univ.-Prof. Dr.-Ing. Peter Burggräf
Inhaber des Lehrstuhls für International Production Engineering and Management an der Universität Siegen und Projektleiter des KI.NRW-Flagship-Projekts »Cyber Production Management Lab«
»Die Unternehmen, die denken, ›Das bleibt so, wir haben das schon immer so gemacht‹ gibt es heute nicht mehr.«
Univ.-Prof. Dr.-Ing. Peter Burggräf ist Inhaber des Lehrstuhls für International Production Engineering and Management an der Universität Siegen und CEO der Unternehmensberatung DRIVE CONSULTING in Aachen. Als Projektleiter verantwortet er die Aktivitäten des KI.NRW-Flagship-Projekts »Cyber Production Management Lab«. Die Zielsetzung des Forschungsvorhabens besteht darin, zukunftsweisende Technologien wie KI und 5G nahtlos in die produzierende Industrie zu integrieren, um Ressourceneffizienz und Energieeinsparungen zu realisieren. Für das Projektkonsortium haben sich die Universitäten Siegen mit dem Lehrstuhl für International Production Engineering and Management mit der RWTH Aachen zusammengeschlossen
Prof. Burggräf, im vergangenen Jahr ist das »Cyber Production Management Lab« mit dem Ziel gestartet, produzierende Unternehmen in Zeiten der digitalen Transformation bei herausfordernden Veränderungen zu unterstützen und um ihre Wettbewerbsfähigkeit langfristig sicherzustellen. Wo sehen sie derzeit die größten Herausforderungen für Unternehmen bei der Digitalen Transformation?
Meines Erachtens besteht ein gewisses Problem bereits im Namen, nämlich die digitale Transformation als einen Prozess zu verstehen, der nur einmalig von den Unternehmen und deren Mitarbeitenden durchlaufen werden müsste. Tatsächlich gibt es die ›eine‹ Transformation aber nicht. Die große Herausforderung besteht gerade darin, dass wir es mit einer Vielzahl leistungsfähiger, digitaler Anwendungen zu tun haben, die mit wachsender Geschwindigkeit auf die Unternehmen zurollen – und dieser Prozess wird nicht abreißen. Ganz im Gegenteil: er schreitet mit exponentieller Geschwindigkeit voran, ohne, dass ein Ende in Sicht wäre. Unternehmen müssen also eine dauerhafte Innovationsbereitschaft in ihrer Kultur verankern. So sollte man auch den Begriff der Transformation verstehen.
Die Region Südwestfalen ist vor allem für ihren starken Mittelstand bekannt. Welche Rückmeldung bekommen Sie von Unternehmen zu Transformationsprozessen, mit denen Sie im Rahmen des Projekts arbeiten?
Entgegen mancher Vorurteile gegenüber dem Mittelstand zeichnen sich die Unternehmen durch ihre große Innovationsfreudigkeit aus. Nicht ohne Grund können sich die Unternehmen als sogenannte Hidden Champions gegenüber dem weltweiten Wettbewerb behaupten. Die meisten Unternehmen sind sogar Weltmarktführer. Bei diesen Unternehmen wird nur das gemacht, was wirklich unmittelbar nützlich ist. Es gibt keine vermeintlich strategischen Initiativen, wie man sie vielleicht von Konzernen kennt, die durch einen Technology-Push getrieben sind. Die Erwartung der Unternehmen an uns ist es daher, Lösungen zu entwickeln, die einen spürbaren Mehrwert erzielen. Die Unternehmen spiegeln uns, dass uns das bisher gut gelungen ist.
Ihr Büro liegt am Campus der Achenbach Buschhütten GmbH & Co. KG – eines der ältesten inhabergeführten Unternehmen in der Region. Welchen Einfluss hat die Historie eines Unternehmens auf dessen Transformationsziele?
Die Kontinuität der vielen familiengeführten Unternehmen in der Region ist das Resultat eines kontinuierlichen Veränderungswillens. Die Unternehmen, die denken, ›Das bleibt so, wir haben das schon immer so gemacht‹ gibt es heute nicht mehr. Gerade die Traditionsunternehmen sind besonders offen für Innovation, weil sie in der Vergangenheit die Erfahrung gemacht haben, dass nur Innovation den Erhalt des Unternehmens schützt. Das hat Achenbach Buschhütten bewiesen und ist daher auch ein sehr wichtiger Partner und Vorbild für die Entitäten auf dem Campus: die Smarte Demonstrationsfabrik, die Lernfabrik, der Lehrstuhl International Production Engineering and Management der Universität Siegen sowie das Werkzeugmaschinenlabor und das Aachen Center for Additive Manufacturing der RWTH Aachen University. Ohne das Engagement von Achenbach Buschhütten würde es diesen Ort, an dem Lehre, Forschung und Produktion ineinandergreifen und zusammen die industrielle Transformation voranbringen, nicht geben. Aachenbach Buschhütten ist hier gleichermaßen Initiator wie Nutzer. Denn das Unternehmen hat sich klar entschlossen, seine Zukunft auf Basis der äußerst erfolgreichen Historie fortzuschreiben. Dazu gehört die Offenheit für neue Technologien, Erkenntnisse und Ideen.
Demonstrationsfabrik klingt spannend. Was machen Sie da genau?
Die SDFS Smarte Demonstrationsfabrik Siegen bietet eine reale Produktionsumgebung für den Forschungsbetrieb. Hier werden Prototypen und Kleinserien unter echten Bedingungen gefertigt, sodass neueste Technologien und Innovationen in einer realen Anwendung erlebt und erforscht werden können. Das heißt, Forschung und Anwendungspartner arbeiten hier unmittelbar zusammen. Das stärkt die Vernetzung und den Austausch mit den Unternehmen in der Region und darüber hinaus. Für das KI.NRW-Flagship-Projekt »Cyber Production Management Lab« ist der Campus Buschhütten deshalb der ideale Standort.
Stichwort Austausch mit den Unternehmen: Gibt es ein konkretes Vorgehen oder eine Methodik, mit der sie Anwendungsfälle identifizieren und deren Umsetzungen auf den Weg bringen?
Wir erhalten viele Impulse aus der direkten Zusammenarbeit mit den Unternehmen, die mit konkreten Fragestellungen auf uns zukommen. Aber auch in unserer eigenen Produktion erkennen wir Potenziale und versuchen, diese zu realisieren.
Dazu beginnen wir normalerweise mit einer Prozessanalyse der Produktionsabläufe. Danach ermitteln wir dann, welche Bereiche sich für die Digitalisierung eignen. Dabei achten wir immer darauf, dass Kosten und Nutzen in einem ausgewogenen Verhältnis zueinanderstehen, damit die digitalen Änderungen sinnvoll und nachhaltig umgesetzt werden können. Zudem haben wir sogenannte Micro Labs eingerichtet, die explizit auf verschiedene Bereiche, wie beispielsweise die Lebensmittelproduktion oder die Metallverarbeitung, ausgelegt sind.
Was passiert in den Micro Labs?
Alle Micro Labs bilden verschiedene Grundlagen der Industrie ab und behandeln jeweils ihren eigenen Schwerpunkt. Aus produktionstechnischer Sicht handelt es sich bei den Micro Labs um Minimal Viable Production Systems (MVPSs), die in der Lage sind, einen Produktionsauftrag vollständig abarbeiten zu können. Auf deren individuelle Bedürfnisse sind dann auch die entsprechenden Lösungen für Digitalisierung und KI abgestimmt. Zusätzlich liefern wir die Serverinfrastruktur samt 5G-Konnektivität, die zum Austausch zwischen den Micro Labs gebraucht werden.
Ein weiterer elementarer Bestandteil Ihrer Arbeit ist der Transfer der gewonnenen Erkenntnisse zu den Unternehmen in der Region. Dazu haben Sie zwei Transferhubs geschaffen. Was bieten Sie dort an?
Im Transferhub »Lifelong Learning« werden verschiedene Schulungen und Weiterbildungen zu Themengebieten des Projektes entwickelt, angeboten und durchgeführt. Zielgruppen sind dabei nicht nur Studierende und Auszubildende, sondern auch die Unternehmen, mit denen wir zusammenarbeiten. Darüber hinaus sind wir mit anderen Ausbildungsstätten vernetzt, die die Inhalte wiederum in die Unternehmen bringen. Der zweite Transferhub »Transfer Circle« zielt konkret auf den Transfer in die produzierende Industrie ab. Die Unternehmen können an verschiedenen Veranstaltungen und Arbeitskreisen teilnehmen. Zudem nutzen wir auch überregionale Plattformen wie KI.NRW, um das Wissen aus unserem Projekt zu teilen und zu vermitteln.
Wie wichtig ist für Sie der Austausch mit weiteren regionalen Förderprojekten, wie zum Beispiel der »Denkfabrik digital« und dem Cluster »Metall+Daten«?
Ich denke, dass die Bedeutung eines gemeinsamen Austauschs bislang unterschätzt wurde. Der Erfahrungsaustausch und das Teilen von Best Practices bietet ein großes Synergiepotential. Man kann und muss das Rad nicht überall neu erfinden. Natürlich hat jedes Projekt seine regionalen Besonderheiten und einen individuellen Reifegrad. Dennoch bieten Austauschplattformen eine sinnvolle Möglichkeit, gemeinsam schneller zu werden und voneinander zu profitieren.
Was denken Sie: welche Ergebnisse der Digitalen Transformation werden wir in einem, in fünf und in zehn Jahren im produzierenden Gewerbe sehen?
Die Investition in die digitale Transformation ist immer davon abhängig, welche Technologie zum entsprechenden Zeitpunkt das beste Kosten-Nutzen-Verhältnis bringt. Das ist bei jedem Unternehmen unterschiedlich. Es gibt Vorreiter, für die es sich lohnt, Technologien früh einzusetzen.
Es ist allerdings nicht damit zu rechnen, dass Technologien zum Einsatz kommen, die bislang unbekannt sind. Ich denke, dass zum Beispiel fahrerlose Transportsysteme sicherlich bald eine breitere Anwendung finden. In den nächsten fünf Jahren wird das Thema KI in administrativen Tätigkeiten, wie beispielsweise der Arbeitsvorbereitung oder der Produktionsplanung und -steuerung eine immer wichtigere Rolle spielen und in zehn Jahren dann vielleicht die humanoide Robotik. Betrachtet man diese Zeiträume, haben wir es weniger mit technologischen Revolutionen als mit Evolutionen zu tun.
Univ.-Prof. Dr.-Ing. Peter Burggräf Projektleiter des KI.NRW-Flagship-Projekts »Cyber Production Management Lab«. Durch die geförderten Forschungsvorhaben aus dem CPML sollen innovative Lösungen entwickelt werden, um die produzierenden Unternehmen in der Region für die Herausforderungen der Digitalen Transformation optimal zu rüsten. 2019 wurde Prof. Dr.-Ing. Peter Burggräf von der Unicum-Stiftung zum »Professor des Jahres 2019« in der Kategorie Ingenieurwissenschaften/Informatik ausgezeichnet. Als Experte für Produktionsmanagement in der Fabrikplanung ist er zudem in der freien Wirtschaft tätig und unterstützt Unternehmen als Gründer, Unternehmer und Berater.