Stefan Hartmann

Wissenschaftlicher Mitarbeiter für digitale Transformation beim Fraunhofer-Institut für Entwurfstechnik Mechatronik IEM in Paderborn

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»Die Produktionshalle der Zukunft wird intelligent, flexibel und nachhaltig sein und die Grenzen zwischen physischer und digitaler Welt verschwimmen lassen.«

Stefan Hartmann ist seit 2023 am Fraunhofer-Institut für Entwurfstechnik Mechatronik IEM in Paderborn tätig. Dort koordiniert er unter anderem die Aktivitäten des KI.NRW Flagship-Projekts »Datenfabrik.NRW«. Das Projekt soll Pionierarbeit leisten und die digitale Transformation in einer realen Produktionsumgebung gestalten. Auf Grundlage innovativster Verfahren und unter Einsatz Künstlicher Intelligenz werden die Fabrikplanung, Produktion, Logistik und die Unternehmensarchitektur der beteiligten Anwenderunternehmen analysiert und in Pilotbereichen transformiert. Dabei werden die erforderlichen Anpassungen eines Unternehmens in ihrer Gesamtheit betrachtet und neben strategischen Fragestellungen auch die Auswirkungen auf die Informationsarchitektur, Prozess- und Arbeitsorganisation im Unternehmen sowie die Kompetenzanforderungen der Mitarbeitenden berücksichtigt. Die Ergebnisse sollen als Blaupause für die digitale Transformation produzierender Unternehmen in NRW und darüber hinaus dienen. Im Interview mit KI.NRW spricht er über die Ziele und Herausforderungen des Projekts sowie seine Vision von der Produktion der Zukunft.

Stefan Hartmann ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter für digitale Transformation beim Fraunhofer-Institut für Entwurfstechnik Mechatronik IEM in Paderborn.
Stefan Hartmann verantwortet am Fraunhofer IEM unter anderem die Aktivitäten des KI.NRW Flagship-Projekts »Datenfabrik.NRW« © Fraunhofer IEM

Herr Hartmann, Sie haben jahrelange Erfahrung in der Produktionsplanung und -steuerung. Wie hat sich das produzierende Gewerbe in den letzten Jahren verändert?
Interessanterweise durfte ich in meiner vorherigen Tätigkeit die Entwicklung einer Produktionsstätte von Beginn an mitbegleiten. Nachdem erste Maschinen aufgebaut und die Inbetriebnahmen erfolgt waren, kamen damals – über zehn Jahre ist das schon her – schnell Fragen der Prozessorganisation, der Dokumentation und der Unterstützung des Maschinenparks durch IT-Systeme auf. Die immer neuen Möglichkeiten der digitalen Prozessunterstützung ermöglichten ein immer effizienteres Handeln. Dabei wurden immer mehr Daten produziert, die aber oftmals noch ungenutzt blieben.

Gleichzeitig stiegen die externen Anforderungen stetig: Fachkräftemangel, Fragen der Nachhaltigkeit oder instabile Zulieferketten sind dabei ja nur die bekanntesten. Und da liegt dann die große Veränderung: Die Anforderungen an Produktivität und Flexibilität sind über die Zeit enorm gestiegen, sodass das produzierende Gewerbe auf diesen Zielkonflikt Antworten suchte und nun mithilfe der digitalen Transformation und von KI-gestützten Systemen echte Stellhebel an der Hand hat.

Vor diesem Hintergrund: Was ist die Aufgabe der »Datenfabrik.NRW« und wie kam es zur Idee dieses Projekts?
Kernaufgabe der Datenfabrik.NRW ist es, die digitale Transformation an den Beispielen unserer Leuchtturmfabriken CLAAS und Schmitz Cargobull ganzheitlich zu denken, zu planen und umzusetzen, um die Ergebnisse, Erkenntnisse und Erfahrungen anderen Unternehmen für ihre individuelle Transformation verfügbar zu machen.

Gestartet ist das Projekt Ende 2021 – schon damals mit dem Untertitel »KI in der Produktion von morgen«. Das ist deshalb so spannend, weil unser heutiges Verständnis von KI gerade im Zusammenhang mit den Entwicklungen der Generativen KI ein komplett anderes ist, als es damals war. Wenn man dann in den Projektantrag schaut und die damals adressierten Themenfelder sieht, ist es aus heutiger Sicht schon sehr beeindruckend, wie schnell und unvorhersehbar sich die Welt der KI durch Tools wie ChatGPT verändert hat. Was wir aber schon damals wussten: Grundlage für unsere Arbeit sind die immer verfügbareren und größeren Datenmengen und die große Herausforderung ist die Integration entwickelter Lösungen in die bestehenden Prozesse und Unternehmensarchitekturen.

Welche Entwicklungen sehen Sie am Horizont des Projekts?
Konkrete Entwicklungen vorherzusagen, fühlt sich heute aus den genannten Gründen extrem schwierig an. Das sehen wir bei der unfassbaren Entwicklungsgeschwindigkeit der Generativen KI aktuell. Dennoch schaffen wir es in allen Transformation Areas, also dem Production Engineering, dem Manufacturing, der Logistik und dem Enterprise Architecture Management konkrete Lösungen zu entwickeln, die den Mitarbeitenden in den Bereichen dienen und für Unterstützung sorgen. Und das ist auch meine Botschaft an der Stelle: Egal wie sich KI weiterentwickelt, es wird auch zukünftig nur mit der breiten Akzeptanz der Mitarbeitenden funktionieren und dafür müssen unsere KI-Use-Cases immer an den Problembereichen der Mitarbeitenden ansetzen. So schaffen wir die Grundlagen für gute, nützliche und skalierbare Anwendungen, die auch in der Zukunft helfen, den Wirtschaftsstandort zu stärken.

Mit Blick auf Künstliche Intelligenz: Wo kommt diese heute schon in der Fabrik zum Einsatz und wo sehen Sie die größten Potenziale in der Zukunft?
Oftmals häufiger, als viele denken und wissen. Klassische Einsatzgebiete sind z. B. alle Fragen der Bedarfsprognose und Auslastungssteuerung, also etwa in der Produktionsplanung und -steuerung oder der Logistik. Außerdem gibt es häufig Anwendungen im Gebiet der Predictive Maintenance, da Maschinen heutzutage eine gute Datenbasis liefern. Darüber hinaus ist aktuell viel Bewegung im Bereich der Werkerassistenzsysteme. Dort sehe ich persönlich auch riesige Potenziale im Kontext Generativer KI, z. B. indem man den Werkern auf Fertigungsebene virtuelle Assistenten zur Beantwortung diverse Fragestellungen an die Seite stellt.

Wo ergeben sich noch Herausforderung bei der Erschließung und Umsetzung von KI-Potenzialen für die Produktion?
Herausforderungen ergeben sich oftmals bei der Frage nach dem »Wie« und das ist auch sehr nachvollziehbar. Längst nicht jedes Unternehmen kann auf große Ressourcen aus KI-Expert*innen zurückgreifen. Und dennoch gebe ich gerne die Botschaft mit: Traut euch! Sprecht mit euren Mitarbeitenden, ob es schon Ideen für KI-Potenziale gibt. Häufig liegen dann auch schon Daten vor und man kann mit recht einfachen Schritten erste Analysen durchführen, sozusagen »laufen lernen«. Die wichtigste Phase bei solchen Projekten ist das Business Understanding, also die Phase der Beschreibung einer betriebswirtschaftlichen Problemstellung und die entsprechende Zielformulierung. Dies ist das Fundament für erfolgreiche und akzeptierte KI-Use-Cases.

Wie arbeiten Sie mit den verschiedenen Projektpartnern aus Forschung und Wirtschaft zusammen?
In einem so großen Konsortium ist eine positive und konstruktive Zusammenarbeit natürlich das Wichtigste. Zum einen ist da die geballte Kraft aus den Fraunhofer-Instituten zu erwähnen, denn jedes Institut bringt seine individuellen Schwerpunkte ein, sodass wir eine breite thematische Abdeckung haben. Aber ohne Geschäftsbedarfe gibt es keine angewandte Forschung. Das bedeutet: Erst in der Zusammenarbeit mit den Partnerunternehmen entstehen die Ideen, die einen Geschäftsnutzen bringen. Und das führt uns dann auch zum Breitentransfer, der ein Kernelement des Forschungsprojekts ausmacht: All das, was wir in der Datenfabrik.NRW erarbeiten, bereiten wir so auf, dass auch andere Unternehmen davon profitieren können. Insgesamt kann man also sagen, dass wir hier in NRW ideale Voraussetzungen haben und zusammen mit innovativen Forschungseinrichtungen und einem Unternehmensmix aus globalen Playern und KMU im weltweiten Wettbewerb echte Schlagkraft entwickeln können.

Wie sieht die Implementierung von Use Cases aus dem Projekt aus?
Grundsätzlich folgen wir bei der Implementierung unserer Use Cases dem Standardvorgehensmodell für Data-Mining Projekte: CRISP-DM. Wir starten zunächst mit dem Business Understanding, bevor wir in die Datenwelt abtauchen. Dort ist dann darauf aufbauend sehr wichtig zu verstehen, welche Daten vorliegen, wie diese aussehen und welche ersten Erkenntnisse sich daraus ableiten lassen. Erst dann geht es in die konkrete Datenaufbereitung und Modellierung, bevor wir abschließend die Ergebnisse evaluieren und den Use Case implementieren. Ein entscheidender Erfolgsfaktor ist dabei, sich in kleinen Schritten vorzutasten und bei Bedarf auch mal einen Schritt zurückzugehen, bevor man sich im Datendschungel verliert.

In einem Use Case der intelligenten Personaleinsatzplanung ist es uns tatsächlich mal passiert, dass wir Zusammenhänge in den Daten gesucht haben, aber nie vielversprechende Erkenntnisse gewonnen haben. Da haben wir dann irgendwann gesagt: »Wir müssen nochmal auf Start gehen und den Use Case grundsätzlich anders denken.« Und nun machen wir in diesem Use Case super Fortschritte und sind optimistisch, eine Lösung zu entwickeln, die den Mitarbeitenden eine echte Unterstützung im Tagesgeschäft bietet. Generell müssen wir immer bestehende Prozess- und IT-Infrastrukturen mitdenken, um keine Insellösungen zu schaffen, die niemand betreuen kann. Daher ist die IT der Unternehmen immer mit an Board.

In Ihrer Vision: Wie sieht die Produktionshalle der Zukunft aus?
Zuallererst mal befindet sich die Produktionshalle der Zukunft am Wirtschaftsstandort Deutschland. Denn dann haben wir es geschafft, mit datengetriebenen Lösungen und KI-Unterstützung unseren Beitrag zu einer effizienten, robusten und nachhaltigen Produktion zu leisten, welche sich im internationalen Wettbewerb behaupten kann. In meiner Vision sehe ich eine hochautomatisierte und vernetzte Umgebung, in der Mensch, Maschine und Daten nahtlos miteinander arbeiten können. Daten könnten in dieser Idealvorstellung in Echtzeit analysiert werden und es bedürfe keiner aufwändigen manuellen Datenauswertungen mehr, sodass sich der Mensch auf die Kernwertschöpfung fokussieren kann. Intelligente Tools unterstützen dabei, schnellere und bessere menschliche Entscheidungen herbeizuführen, um so z. B. auch Fehl- und Überproduktionen zu vermeiden und damit eine nachhaltige Produktion zu gewährleisten.

Kurz gesagt: Die Produktionshalle der Zukunft wird intelligent, flexibel und nachhaltig sein und die Grenzen zwischen physischer und digitaler Welt verschwimmen lassen.

Stefan Hartmann ist wissenschaftlicher Mitarbeiter für digitale Transformation beim Fraunhofer-Institut für Entwurfstechnik Mechatronik IEM in Paderborn. Dort verantwortet er als Projektleiter unter anderem die Aktivitäten des KI.NRW Flagship-Projekts »Datenfabrik.NRW – Künstliche Intelligenz in der Produktion von morgen«. Hartmann verfügt über jahrelange Praxiserfahrung in den Bereichen Produktionsplanung und -steuerung, Supply Chain Management und Digitale Transformation.