Prof. Dr. Markus Gabriel
Professor für Philosophie und Inhaber des Lehrstuhls für Erkenntnistheorie, Philosophie der Neuzeit und Gegenwart
an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn
»Wir wollen den Standort NRW durch eine gut durchdachte Kooperation zwischen Philosophie und Technik im KI-Bereich voranbringen«
Markus Gabriel ist Professor für Philosophie an der Universität Bonn und beschäftigt sich in seiner Arbeit u. a. auch mit dem Thema Künstliche Intelligenz. Über die Relevanz philosophischer Fragen in der Informatik.
Warum ist das Thema Künstliche Intelligenz so spannend für die Philosophie?
KI-Systeme stellen uns Menschen vor die Herausforderung, dass sie uns in vielen kognitiven Leistungen weit übertreffen. Das wirft die Frage auf, was eigentlich das Spezifikum menschlicher, im Unterschied zur künstlichen, Intelligenz ist, und wie wir eine Ethik der KI entwickeln können: In welchen Bereichen wollen wir KI-Systeme verwenden und welcher Gebrauch ist sinnvoll angesichts der teils großen Risiken, die damit verbunden sind, dass wir fortgeschrittene KI-Systeme in ihren Operationen nicht mehr ohne weiteres nachvollziehen können. Das wirft teils grundsätzliche philosophische und teils sehr anwendungsbezogene Probleme auf, die nur transdisziplinär gelöst werden können.
Zusammen mit Expertinnen und Experten anderer Fachbereiche arbeiten Sie im Rahmen von KI.NRW daran, eine Zertifizierung von Künstlicher Intelligenz zu realisieren. Warum ist Ihnen dieses Thema so wichtig?
KI ist eine Schlüsseltechnologie des 21. Jahrhunderts. Ihr Einsatz hat ethische und auch geopolitische Dimensionen, die man nur in einer engen Kooperation verschiedener Disziplinen erforschen kann. Die Erarbeitung von Zertifizierungskriterien für KI-Systeme ist eine wichtige Grundlage für verantwortungsvolle und wünschenswerte Digitalisierung, die uns erlaubt, Schlüsseltechnologie möglichst risikofrei und sinnvoll in unsere gesellschaftliche Selbstverständigung einzubringen. Das Besondere von KI ist, dass sie ohne philosophisch/ethische Analyse ihrer Anwendung auch nicht sinnvoll ökonomisch verwertbar ist, weshalb viele große Digitalkonzerne schon seit Jahren Philosophen und andere Geisteswissenschaftler einsetzen. Wir wollen den Standort NRW durch eine gut durchdachte Kooperation zwischen Philosophie und Technik im KI-Bereich voranbringen.
Was kann KI leisten, um die Welt zu einem lebenswerteren Ort zu machen?
KI-Systeme können sinnvoll in vielen Bereichen eingesetzt werden. Sie spielen eine wichtige Rolle für die Verkehrswende (Stichwort: autonomes Fahren), für moderne Fabriken, in denen Roboter zum Einsatz kommen, aber auch im Gesundheitsbereich und der öffentlichen Verwaltung. Philosophisch-ethisch durchdachte KI-Anwendungen können neue Arbeitsplätze und bessere Arbeitsbedingungen schaffen. Insbesondere im medizinischen Bereich sind die Hochleistungen in der Mustererkennung, die heutige KI-Systeme erbringen können, zukunftsweisend. Um die Risiken für die Arbeitswelt rational zu bewältigen und KI-Systeme auszuwählen, die unter Anwendungsbedingungen noch für Nutzer in ihren grundlegenden Entscheidungen transparent sind, müssen wir einen transparenten Prüfkatalog vorlegen. Unser Ziel ist es, KI zugunsten des Menschen einzusetzen.
Prof. Dr. Markus Gabriel ist seit 2009 Inhaber des Lehrstuhls für Erkenntnistheorie, Philosophie der Neuzeit und der Gegenwart an der Universität Bonn, wo er außerdem das Internationale Zentrum für Philosophie und das trandisziplinäre Center for Science and Thought leitet. Er ist regelmäßiger Gastprofessor in Paris (Paris 1-Panthéon Sorbonne) und an der New School for Social Research, wo er seit 2020 das Institute for Philosophy and the New Humanities leitet. Weitere Gastprofessuren führten in an die UC Berkeley und 2019 an die New York University. Seine jüngsten Publikationen sind Fiktionen (Suhrkamp 2020) und Moralischer Fortschritt in dunklen Zeiten (Ullstein 2020). In seinem Buch Der Sinn des Denkens (Ullstein 2018) und weiteren Publikationen hat er Grundlinien einer Philosophie der KI entwickelt, an der er derzeit weiter forscht.