Prof. Dr. Christiane Woopen

Professorin für Life Ethics an der Universität Bonn

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»Wir brauchen eine viel intensivere gesellschaftliche Verständigung darüber, welche Rolle wir KI geben wollen. Wollen wir sie mit all ihren Chancen klug als Mittel für unsere Zwecke einsetzen oder wollen wir uns von ihr und ihren Entwicklern vor sich hertreiben lassen?«

Ethische Fragen sind eng verwoben mit dem Einsatz von Künstlicher Intelligenz und der Entwicklung immer neuer KI-Anwendungen. Prof. Dr. med. Christiane Woopen beschäftigt sich als Ethikerin bereits seit vielen Jahren mit den Implikationen von Künstlicher Intelligenz auf ethische Fragen. Als Professorin für Life Ethics an der Uni Bonn und als ehemalige Vorsitzende im Europäischen Ethikrat prägt sie dieses Forschungsfeld mit großer Expertise. Im Interview mit KI.NRW spricht sie über ihre Arbeit am »Center for Life Ethics« und aktuelle Regulierungsdebatten rund um Künstliche Intelligenz.

Prof. Dr. Christiane Woopen ©Reiner Zensen
Prof. Dr. med. Christiane Woopen, © Reiner Zensen

Frau Prof. Woopen, Sie beschäftigen sich mit dem Thema Künstliche Intelligenz u. a. im Zuge Ihrer »Life Ethics«-Forschung: Gab es einen besonderen Moment in der KI-Geschichte, der Sie auf dieses Thema aufmerksam gemacht hat?
Es war keine bestimmte Tür, die sich plötzlich geöffnet und mich zur KI geführt hätte, sondern eher ein längerer Weg, auf dem sie zur Begleiterin wurde. Beruflich relevant wurde dann zunächst, was man seit Anfang der 2000er Big Data nannte. In der Rolle als Vorsitzende des Deutschen Ethikrates und als Mitglied des International Bioethics Committee der UNESCO habe ich mich intensiv mit Fragen rund um Big Data und Gesundheit befasst. Mit der Zeit kamen Fragen rund um Künstliche Intelligenz hinzu, wozu wir seither auch Forschung betreiben.

Sie halten seit Oktober 2021 die erste Heinrich-Hertz-Professur für »Life Ethics« der Universität Bonn. Außerdem sind Sie Direktorin des »Center for Life Ethics« im Transdisziplinären Forschungsbereich 4 »Individuen, Institutionen und Gesellschaften«. Wie kann man sich Ihre Arbeit an der Universität vorstellen?
Wir sind insgesamt ein Team mit rund 30 Mitarbeitenden aus vielen unterschiedlichen Disziplinen. Alle unsere Projekte sind interdisziplinär, die meisten auch international und transdisziplinär, was bedeutet, dass außerwissenschaftliche Akteure miteingebunden sind. Wir wollen in Forschung, Lehre und Beratung zu einem guten Leben für alle beitragen. Das bezieht sich auf unterschiedliche Aspekte des Lebens, z. B. die Gesundheitsversorgung, die Umwelt, die Gestaltung ethischer Zukünfte zusammen mit Menschen anderer Kulturen und Überzeugungen. Als Ausgangspunkt dient uns dazu immer unser lebensethischer Grundsatz: Das ethisch Gute besteht darin, die Entfaltung, Schönheit und Fülle allen Lebens zu achten oder zu fördern.

Welche Aufgabe hat Ihr »Center for Life Ethics« in der aktuellen Debatte um Künstliche Intelligenz?
Wir befassen uns in mehreren Forschungsprojekten derzeit vor allem mit der Rolle von KI in der Gesundheitsversorgung: Welche Rolle spielen die Tech-Giganten? Dazu haben wir ein ausführliches Gutachten über 16 Unternehmen weltweit erarbeitet. Welche ethischen Rahmenbedingungen sollten bei dem Einsatz von KI zur Vorhersage von Krankheiten wie der Alzheimer-Demenz oder psychischen Erkrankungen gelten? Was ist ethisch bei der Entwicklung und Anwendung individueller virtueller Zwillinge des Gehirns zu berücksichtigen? Wie kann KI nach einem ethics-by-design-Ansatz gestaltet werden, also so entwickelt, gestaltet und angewandt werden, dass ethische Belange von vorneherein berücksichtigt und eingebaut werden.

Mit Ihrer Arbeit wollen Sie ethische Orientierung und kluge Lösungen auch im Umgang mit KI anbieten. Welche gesellschaftlichen Herausforderungen im Umgang mit Künstlicher Intelligenz sehen Sie auf uns zukommen?
Ich sehe vor allem zwei Herausforderungen: Erstens: Wir brauchen eine viel intensivere gesellschaftliche Verständigung darüber, welche Rolle wir KI geben wollen. Wollen wir sie mit all ihren Chancen klug als Mittel für unsere Zwecke einsetzen oder wollen wir uns von ihr und ihren Entwicklern vor sich hertreiben lassen? Das führt sogleich zur zweiten Frage: Wie viel Macht sind wir bereit, den großen Tech-Unternehmen und ihren Entscheidern zu überlassen? Meines Erachtens haben sie durch ihre unverhältnismäßig großen technischen, finanziellen und damit auch politischen Möglichkeiten inzwischen eine viel zu große Macht über unser aller Leben.

Neben Ihrer universitären Arbeit waren Sie zwischen 2017 und 2021 Vorsitzende im Europäischen Ethikrat und haben in Ihrer Rolle die EU-Kommission beraten. Welche Berührungspunkte hatten Sie in dieser Rolle mit Künstlicher Intelligenz und was leiten Sie daraus für die Gegenwart ab?
Nachdem ich zur Vorsitzenden gewählt wurde, haben wir zuerst eine Stellungnahme zu Künstlicher Intelligenz, Robotik und ›autonomen‹ Systemen erarbeitet. Wir haben ausgehend von der Charta der Grundrechte der Europäischen Union ethische Maßstäbe für KI entwickelt und anders als die dann von der Europäischen Kommission eingerichtete High Level Expert Group on Artificial Intelligence einen menschenrechtlichen Ansatz in den Vordergrund gestellt. So haben wir es auch in der Datenethikkommission der Bundesregierung 2018-2019 getan. Glücklicherweise hat die Europäische Kommission diese ethische Fundierung und auch den von der Datenethikkommission vorgeschlagenen risikobasierten Ansatz letztlich für den AI Act übernommen, der für alle Länder der Europäischen Union verbindlich ist.

Wo sollten ethische Fragen in der Forschung über KI und mit Künstlicher Intelligenz mehr Raum gegeben werden?
Überall. Ethische Aspekte sollten gemäß einem ethics-by-design-Ansatz von Anfang an mitgedacht werden. Dazu zählen weit mehr Fragen als der ansonsten im Vordergrund stehende Schutz der Privatheit. Es geht je nach Anwendungskontext beispielsweise auch um Fragen der Gerechtigkeit und der Solidarität, der Würde, der Freiheit und der Selbstbestimmung, der Sicherheit, der ökologischen, ökonomischen und sozialen Nachhaltigkeit, der Solidarität und der Auswirkungen auf die Möglichkeiten des Einzelnen und der Gesellschaft, ein freies und gutes Leben führen zu können.

Worauf müssen wir achten, damit die KI-Entwicklung gesellschafts- und menschenfreundlich bleibt?
Damit KI gesellschafts- und menschenfreundlich bleibt und – wie in den sozialen Medien etwa – überhaupt wird, sollten wir vor allem auf dreierlei intensiv achten: auf eine ethisch gute Art der beruflichen wie privaten Nutzung durch jeden Einzelnen, auf die Verteilung von technischer und finanzieller Macht und auf die großen sozio-technischen Bedrohungen unseres freien und demokratischen politischen Systems.

Zum Abschluss: Was würden Sie sich wünschen, wie wir in zehn Jahren auf die aktuellen Debatten um KI-Entwicklung zurückblicken werden?
Wir können uns angesichts der schnellen technologischen Entwicklungen vermutlich kaum vorstellen, welche Rolle sie in zehn Jahren spielen werden, aber ich wünsche mir, dass wir in zehn Jahren stolz darauf sein können, dass wir den ethischen Aspekten eine immer größere Rolle eingeräumt haben werden.

Prof. Dr. med. Christiane Woopen ist Professorin für Life Ethics an der Universität Bonn und beschäftigt sich in ihrer Forschung intensiv mit ethischen Fragestellungen rund um Künstliche Intelligenz. Woopen studierte Humanmedizin und Philosophie in Köln, Bonn und Hagen. Sie habilitierte sich in Ethik und Theorie der Medizin. Als Direktorin des »Center for Life Ethics« widmet Sie sich mit ihrem Team in inter- und transdisziplinärer Forschung, Lehre und Beratung mit den Veränderungen durch Technologisierung, Ökonomisierung, Ökologisierung und Globalisierung, sowie den damit verbundenen Transformationsprozessen des individuellen und sozialen Lebens.